WIE IST EIGENTLICH DEIN KONTOSTAND? Das Beziehungskonto als Metapher

WIE IST EIGENTLICH DEIN KONTOSTAND? Das Beziehungskonto als Metapher

Der Herbst kann eine Gelegenheit sein, mit ein bisschen Abstand auf die Dinge zu schauen. Vielleicht ergibt sich der Raum für Selbstreflexion. Wo stehe ich gerade? Was sind relevante Themen? Wo gibt es Spannungen?

Ein Thema, mit dem wir als Kooperationsgestalter:innen immer wieder in Organisationen arbeiten dürfen sind zwischenmenschliche Spannungen. Es reibt, es zwickt und irgendwie ist es nicht so, wie es sein soll. Ein tolles Tool, damit Umgang zu finden, haben wir vor kurzem vorgestellt. Das Spannungsbasierte Arbeiten.
Wenn nun aber die Organisation oder das Team (noch) nicht damit arbeitet, was dann?
Es gibt ein Modell, was in unserer Erfahrung sehr naheliegend und einfach zu übersetzen ist und eine gute Gesprächsgrundlage sein kann.

Das Beziehungskontomodell

Das Beziehungskonto-Modell

Das Modell geht zurück auf den US-amerikanischen Psychologen und Familientherapeut Thomas Gordon, der das Modell der Beziehungskonten im Kontext seiner Arbeit an konstruktiver Familienkommunikation entwickelt hat. Durch die einfache Analogie hat es mittlerweile Eingang gefunden in viele Bereiche, in denen Menschen miteinander kooperieren. Es lässt sich auf der zwischenmenschlichen Ebene anwenden, aber auch auf Schnittstellenbereiche zwischen Teams. Für die Einführung des Modells bleiben wir zunächst auf der zwischenmenschlichen Ebene.

Das Beziehungskonto führt man selbst für die Beziehung mit einer anderen Person.
Lisa führt z.B. ein Beziehungskonto für ihre Wahrnehmung von der Beziehung mit Jan.
Ähnlich wie bei einem Konto gibt es Einzahlungen und Abbuchungen.

 

  • Einzahlungen können sein Verständnis, Wertschätzung, Unterstützung, Interesse, Vertrauen, Aufmerksamkeit, Geborgenheit, Schutz, Zuversicht, Entschuldigung, …

 

  • Abbuchungen können sein Enttäuschung, Kränkung, Schuldzuweisung, Nachlässigkeit, keine Zeit und keine Aufmerksamkeit, Angriff, Vertrauensbruch, Keine Unterstützung, …

 

Und wie auf jedem Geld-Konto ist es ganz normal, dass es beides gibt:

Hier ein Einzahlung (Jan hat die Präsentation wertgeschätzt!) und noch eine (Jan hat ihr einfach so einen Kaffee mit zum Schreibtisch gebracht), dann eine Abbuchung (Jan hat in der Mail nicht erwähnt, dass es Lisas Idee war, den Newsletter zu erweitern).

Wichtig dabei ist, dass das Konto insgesamt im Plus bleibt. Dann haben wir selbst Lust, der anderen Person zu helfen und sie zu unterstützen. Dann steigt das kooperative Potenzial in Organisationen.
Abbuchungen gehören dazu und sind unvermeidbar – oft wissen wir gar nicht, dass wir gerade das Beziehungs-Konto der anderen Person belasten.

Geraten Beziehungskonten aber stark und andauernd ins Minus, verändert sich in der Regel unser Verhalten. Wenn man bemerkt, dass stark auf kleinere Dinge im Verhalten anderer Person reagiert wird, dann kann das ein Hinweis darauf sein, dass es schon länger keine Einzahlung mehr gab.

Dafür eine Analogie aus der Welt der echten Geldes:

Stell Dir vor: Zwei Personen, nennen wir sie Klaus und Peter - bekommen jeweils ein Knöllchen – Mist, falsch geparkt!

Peter hat ein dickes finanzielles Polster. Jeden Monat wird das Konto großzügig aufgefüllt.

Klaus hat Schwierigkeiten die Miete zu bezahlen und dann auch noch die gestiegenen Lebensmittelpreise. Das magere Einkommen reicht hier kaum.

Welche Bedeutung hat das Knöllchen wohl für Peter - welche für Klaus?

Richtig: Peter tun die 15€ nicht weh. Er wird das Knöllchen einfach bezahlen und abhaken!

Für Klaus ist das Ganze dagegen sehr ärgerlich - die 15€ sind wirklich schmerzhaft.

 

Ganz ähnlich ist es mit Beziehungen zu anderen Menschen. Abbuchungen gehören dazu – wie wir darauf reagieren, hängt davon ab, wie unser Kontostand ist.

Wenn wir merken, dass wir oder andere beginnen empfindlich auf eigentlich kleine Abbuchungen zu reagieren - der fehlende Gruß, das nicht Ausreden lassen im Meeting, ... - dann ist das ein guter Moment das Gespräch zu suchen.

Wenn man diese Chance verpasst hat und sich nicht im Austausch wissen lässt, wo man gerade steht, dann kann es passieren, dass die "Dispo-Grenze" erreicht wird. Das ist der Punkt, an dem es zu Beziehungsabbrüchen kommt. Hier ist es oftmals schwerer durch ein einfaches Gespräch wieder zu einem konstruktiven Miteinander zusammen zu kommen. An dieser Stelle kann es ratsam sein, sich durch z.B. Mediation unterstützen zu lassen.

Unterschiedliche Währungen

Bei Beziehungskonten gibt es eine ganz entscheidende Eigenheit. Jeder Mensch hat eine ganz eigene Währung für Beziehungskonten und den Wechselkurs kann man nur im Gespräch erfragen. Was für Lisa eine Einzahlung ist („Danke Jan, für den Kaffee!“), ist für eine andere Person vielleicht übergriffig („Ich mag meinen Kaffee auf eine spezielle Art und Weise und schätze es nicht, wenn andere Menschen mir ungefragt in meine Morgenroutine reinpfuschen.“).

Ein wichtiger Schritt dabei ist es, selbst zu wissen was die eigene Währung ist. Was sind Einzahlungen für mich? Was sind Abbuchungen für mich?

Darüber Klarheit zu haben, hilft oft schon den Blick auf die Spannung zu verändern. Und richtig erkenntnisreich wird es, wenn man in den Austausch geht und sich darüber unterhält, welche Dinge und Verhaltensweisen für das Gegenüber jeweils Einzahlungen bzw. Abbuchungen sind – „A-ah!“-Momente garantiert

Kritik und Anwendungsmöglichkeiten

Emotionen sind keine Währung und Beziehungen keine Konten. Man kann zu Recht kritisieren, dass ein kapitalistischer Blick auf komplexe interpersonelle Beziehungen zu stark vereinfacht. Dem würden wir zustimmten. Dennoch hat sich diese Metapher als so nachvollziehbar und eingängig herausgestellt, dass sie nur als das – eine Metapher – ein guter Gesprächsaufhänger sein kann. Und wenn es eine Metapher schafft, Beziehungen zu verbessern und Kooperation zu gestalten, dann finden wir das gut.
Es kann auch eine Brücke sein, um zwischen Teams in den Austausch zu kommen. Was ist für uns eine Einzahlung? Was sind Abbuchungen, die vielleicht nicht ersichtlich sind, weil ihr keinen Einblick in unsere Abläufe habt?

Wie wir gezeigt haben, kann das Modell zunächst der Selbstreflexion dienen.

Wenn man einen Schritt weiter gehen will, kann man dem Team das Modell z.B. auch in einem Lunch&Learn  vorstellen. Erste Schritte, die sich als hilfreich herausgestellt haben, wenn man das Modell im Team einführen will, haben wir in einem PDF zum Runterladen am Ende des Beitrags zusammengestellt.

Ein guter Rahmen, um ein Gespräch über den aktuellen Kontostand zu führen, sind ungestörte, klar kommunizierte Formate – wie zum Beispiel ein bilateraler Spaziergang. Das sind 20 bis 30 min, die man sich Zeit gibt, um Arbeitsbeziehungen zu verbessern.

Oder ihr reflektiert mal eure Kundeninteraktionen mithilfe des Modells: Was sind wohl Einzahlungen - was Abbuchungen aus Kundensicht?

Fragen, Ideen, Anmerkungen, meldet euch gerne bei uns!

Wir wünschen viel Freude beim Ausprobieren!

roots – die Kooperationsgestalter